Nimm den Zug!

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In seiner Kindheit und Jugend war der Schwede Per J. Andersson viel mit dem Zug unterwegs — zuerst gemeinsam mit seiner Großmutter in der näheren Umgebung, dann mit Interrail kreuz und quer in Europa. Prägende Erlebnisse, aber irgendwann stieg der Autor, wie viele andere Menschen eben auch, aufs Flugzeug um. In erster Linie aus Gründen der Bequemlichkeit, denn gerade als Reisejournalist, der viel unterwegs ist und oft möglichst schnell von A nach B kommen muss, scheint die Eisenbahn doch das Nachsehen zu haben. Seit ein paar Jahren ist Per J. Andersson allerdings wieder bevorzugt mit dem Zug beruflich und privat auf Reisen — teils aus Gründen des Klimaschutzes, teils aus Nostalgie, aber vor allem, weil Zugfahren oft doch praktischer, schneller und viel schöner ist, als manche Vielflieger meinen.

Wir wollen die Liebe zu den Gleisen besingen, die Vertrautheit mit der Lok und das freie, geschmeidige und ungebundene Bahnreisen. Die Förderung von Zugreisen sollte als ein Angriff auf die destruktiven Kräfte unserer Zeit aufgefasst werden. Unser Ziel ist, Auto und Flugzeug zu zwingen, sich dem Zug zu unterwerfen.

Mit „Vom Schweden, der den Zug nahm und die Welt mit anderen Augen sah“ (Deutsch von Susanne Dahlmann) hat der Besteller-Autor (u.a. „Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden“) nun ein Loblied auf die Eisenbahn geschrieben, das allerdings auch mit kritischen Tönen nicht geizt. Vor allem die in den letzten Jahrzehnten extrem auf Flug- und Autoverkehr fixierte Verkehrspolitik in vielen Ländern kommt verständlicherweise überhaupt nicht gut weg. Die Folgen davon erlebt Per J. Andersson am eigenen Leib, als er versucht, mit regulär verkehrenden Zügen auf der klassischen Route des Orient-Express von Paris nach Istanbul zu reisen. Von der Pracht, die man unter anderem aus Agatha Christies berühmtem Kriminalroman und dessen Verfilmungen kennt, ist nicht mehr viel übrig geblieben: komplizierte Fahrkartenbuchungen, sechs Umstiege und Fahrten mit zum Teil sehr heruntergekommenen Zügen machen eher wenig Lust, sich selbst einmal auf diese Strecke zu wagen.

Das Positive allerdings überwiegt auf den Reisen, die Per J. Andersson unternimmt und auf sehr sympathische, leicht zu lesende Art beschreibt. In den Bernina-Express möchte man am liebsten sofort einsteigen und die Erlebnisse auf den langen Fahrten durch Indien erinnern an Wes Andersons farbenprächtigen Film „Darjeeling Limited“. Hoffnung macht ebenfalls, dass in immer mehr Ländern längst eingestellte Nachtzugverbindungen ein Revival erleben. Besonders tut sich da die österreichische ÖBB mit ihren „Nightjet“-Zügen hervor. Inwiefern die Corona-Krise Auswirkungen auf viele geplante Bahnprojekte hat, wird die Zukunft zeigen, aber insgesamt ist der Eisenbahnverkehr auf einem durchaus guten Weg.

Zu diesem Fazit kommt man jedenfalls nach der Lektüre von „Vom Schweden, der den Zug nahm und die Welt mit anderen Augen sah“, dieser sehr kurzweiligen Mischung aus Reisereportage, Kulturgeschichte der Eisenbahn von ihren Anfängen bis in die Gegenwart, und Reiseführer (am Ende der einzelnen Kapitel und im umfangreichen Anhang finden sich allerlei Tipps und Links, die bei der Planung eines Urlaubs mit der Bahn — egal, ob in Europa oder in fernen Ländern — enorm hilfreich sind). Außerdem macht sich schon während des Lesens jede Menge Fernweh und Entdeckungslust breit — ein größeres Lob kann man einem Reisebuch eigentlich kaum machen.


Per J. Andersson: Vom Schweden, der den Zug nahm und die Welt mit anderen Augen sah (C. H. Beck Verlag, 379 Seiten, 16,95 Euro).
#supportyourlocalbookstore

* Vielen Dank an den C. H. Beck Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars! *


📷 Beitragsfoto von mir

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