Flächenfraß, industrielle Landwirtschaft und die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels – dass unsere moderne Kulturlandschaft immer weniger Arten gute Lebensbedingungen bietet, ist kein Geheimnis. Längst hat das Artensterben solch besorgniserregende Ausmaße erreicht, dass kaum noch Zeit zum Handeln bleibt. Aber wie könnte so ein Handeln im Sinne der Natur überhaupt aussehen? In der Regel verbindet man mit „unberührter Natur“ große Wälder, die weitgehend unberührt von Menschenhand vor sich hinwachsen dürfen – so zum Beispiel in Nationalparks.
Das Problem, das der Biologe, Autor und Naturfilmer Jan Haft gleich zu Beginn seines neuen Essays „Wildnis. Unser Traum von unberührter Natur“ herausstellt, ist aber, dass diese „Urwälder“ keineswegs einen echten Naturzustand darstellen. Tatsächlich ist die Artenvielfalt in dichten Wäldern mit hohen Bäumen und dementsprechend wenig Licht am Boden deutlich geringer als in vielen von Menschen geschaffenen Gebieten wie etwa Parks, Friedhöfen oder Kiesgruben. Außerdem war Europa einst keineswegs ausschließlich von undurchdringlichen Wäldern überzogen. So hielten zum Beispiel im Pleistozän Herden von umherwandernden große Pflanzenfressern weite Teile der Landschaft offen und sorgten damit für ideale Lebensbedingungen für eine große Anzahl an Tieren und Pflanzen. Auch garantierte bis vor gar nicht allzu langer Zeit der Umstand, dass viele Nutztiere auf ganzjährig beweideten Flächen gehalten wurden, eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt. Dummerweise sind die wildlebenden großen Pflanzenfresser entweder ganz ausgestorben oder zumindest stark dezimiert, während ein Großteil der Nutztiere seit ein paar Jahrzehnten in Ställen „verschwunden“ ist.
Als Ausweg aus diesem Dilemma plädiert Jan Haft in seinem Essay für die Schaffung „Wilder Weiden“, also halboffener Landschaften, die möglichst ganzjährig beweidet werden. Mit einer beträchtlichen, aber dennoch nicht zu großen Zahl an Pferden und vor allem Rindern. Die positiven Effekte, die eine solche Maßnahme mit sich brächte, erläutert der Autor anhand vieler anschaulicher Beispiele; außerdem widerlegt er den gerne vorgebrachten Irrglauben vom „klimaschädlichen“ Rind.
„Wildnis“ ist ein interessanter, kluger und wichtiger Debattenbeitrag, den auch Nicht-Fachleute gut nachvollziehen können. Theoretischer als die wunderbar farbenfrohen, lebhaften anderen Bücher von Jan Haft (wie etwa „Heimat Natur“) ist dieser Essay aber natürlich dennoch.
- Jan Haft: Wildnis. Unser Traum von unberührter Natur; Penguin Verlag; 144 Seiten; ISBN: 978-3-328-60273-6.
Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
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Ein Kommentar zu „Jan Haft: Wildnis“