
Gerade eben war doch noch Weihnachten und schon neigt sich der Januar wieder dem Ende entgegen – verrückt, wie die Zeit vor sich hinrast! Weihnachten ist aber ein gutes Stichwort, denn abgesehen vom neuen Buch von Arno Geiger (den ich zum Monatsabschluss noch auf einer Livestream-Lesung aus dem Hamburger Literaturhaus erleben darf) lagen alle Januar-Lektüren unter dem Weihnachtsbaum. Gute Geschenke allesamt, wobei ich vor allem mit Mariana Leky und Dagmar Leupold, die sich sprachlich und hinsichtlich ihrer Vorliebe für leicht windschiefe Figuren relativ nah sind, viel Freude hatte. Selbiges gilt auch für Arno Geiger – ein gelungener Abschluss für einen sehr gelungenen Lesemonat ohne Ärger und Verdruss.
Mariana Leky: Kummer aller Art // Eine sichere Bank für einen ebenso vergnüglichen wie klugen Einstieg ins neue Lesejahr: Mariana Lekys gesammelte (und leicht überarbeitete) Kolumnen aus der Zeitschrift „Psychologie Heute“. Wie der Titel verrät, geht es in den 39 jeweils knapp vier Seiten langen Geschichten um „Kummer aller Art“ – von diversen Ängsten und Schlaflosigkeit über Liebeskummer und Zwangsneurosen bis hin zu allgemeiner Seelenverknitterung.
Gewohnt fein beobachtet und erzählt im ganz eigenen „Leky-Sound“, sind es vor allem die wiederkehrenden Figuren, die diese Miniaturen so liebenswert machen. Man kann gar nicht anders, als den schwermütigen Herrn Pohl mit seinem altersschwachen Zwergpinschermischling Lori, die zaudernde, stets etwas verzagte Frau Wiese oder den Rilke-Verehrer Onkel Ulrich, der auch im Ruhestand nicht aus der beruflichen Rolle des Psychoanalytikers heraus kann, umgehend ins Herz zu schließen.
Was sich aus „Kummer aller Art“ fürs neue Jahr mitnehmen lässt? Nun, vielleicht sollten wir uns alle darum bemühen, unseren Mitmenschen freundlicher, staunender und gütiger gegenüberzutreten. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.
Katherine May: Überwintern // Mehr zu diesem und anderen Winterbüchern HIER.
Dagmar Leupold: Dagegen die Elefanten // Der Deutsche Buchpreis mag es zwar gelegentlich etwas krachig und schillernd, aber dennoch hat es Dagmar Leupold mit dem leisen Helden ihres Romans „Dagegen die Elefanten!“ auf die letztjährige Longlist geschafft. Nach 2013 und 2016 bereits ihre dritte Nominierung.
Der angesprochene „Held“ ist Herr Harald, ein unscheinbarer, nicht mehr ganz junger Mann, der seinen Dienst an der Garderobe der Oper (Balkon links) mit großer Ernsthaftigkeit und tadellosen Manieren versieht. Von anderen kaum bemerkt und dementsprechend einsam, ist der Junggeselle selbst ein genauer Beobachter, der schöne Wörter, die Ergebnisse seiner Grübeleien und nicht zuletzt seine unschuldige Schwärmerei für die Frau, die bei ausgewählten Klavierkonzerten die Noten umblättert, akribisch in seinem Notizbuch festhält.
Ein Jahr lang begleiten wir Herrn Harald bei seinen alltäglichen Verrichtungen und auf seinen Spaziergängen durch München. Trotz einer sacht angedeuteten Krimihandlung um einen mysteriösen vergessenen Mantel (darin: eine Schreckschusspistole) überschlagen sich die Ereignisse auf den etwas mehr als 250 Seiten nicht gerade – eher passt sich das Buch dem gemäßigten Lebenstempo seines Protagonisten an.
Ich habe „Dagegen die Elefanten!“ trotz der wenig aufregenden Handlung sehr gerne gelesen. Herr Harald ist ein äußerst angenehmer Begleiter für ein paar ruhige Lesestunden und vor allem sprachlich ist der Roman ganz wunderbar gelungen – für mich auf jeden Fall preisverdächtig.
Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis // Arno Geiger verrät uns in seinem neuen Buch ein Geheimnis. Ein Vierteljahrhundert lang streifte er regelmäßig durch die Straßen Wiens, um Altpapiercontainer nach Brauchbarem zu durchwühlen. In seiner Zeit als Student und erfolgloser Möchtegern-Schriftsteller suchte er neben interessanter Lektüre für sich selbst vor allem nach Dingen, die sich auf dem Flohmarkt zu Geld machen ließen.
Doch auch später machte der mittlerweile erfolgreiche Autor seine Runden – dann eher auf der Suche nach Briefen und Tagebüchern, die ihm als Inspiration für die Figuren seiner eigenen Werke dienten. „Feldstudien“, wie er selbst es nennt. Für seinen Roman „Unter der Drachenwand“ zum Beispiel las Arno Geiger rund 20.000 Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs; ein Drittel davon hatte er aus dem Müll gefischt.
„Das glückliche Geheimnis“ ist ein wunderbares Buch, in dem es keineswegs nur ums heimliche Sammeln von Altpapier geht. Es ist ein sehr persönlicher Einblick in das Leben und Arbeiten des Autors und nicht zuletzt eine Art Fortsetzung von „Der alte König in seinem Exil“. Ein Buch über das Bewahren und das Verschwinden, über das Vergehen der Zeit und Trauer, über die Dinge, die wirklich wichtig sind. Und natürlich ein Plädoyer für die großen und kleinen Geheimnisse in unserem Leben.
Die Fotos und Kurzrezensionen in diesem Beitrag sind zuerst auf meinem Instagram-Account erschienen. Schaut doch gerne einmal vorbei, um stets auf dem aktuellen Stand zu bleiben – ich freue mich!