
Als passionierte Leserinnen und Leser haben wir uns alle insgeheim schon einmal gefragt, was in öffentlichen Büchereien passiert, wenn die Tore nach einem ereignisreichen Tag geschlossen und die Bücher wieder unter sich sind. Nun, in Hugo Hamiltons »Echos der Vergangenheit« finden wir eine Antwort:
Wir plaudern nachts in den Bibliotheken. Sie glauben sicherlich, öffentliche Büchereien wären stille Orte, aber Sie sollten die Debatten hören, die bis Tagesanbruch in den Regalen geführt werden, das Getöse, die schiere Lautstärke, mit der Meinungen ausgetauscht werden. Alle reden durcheinander […], bis der Bibliothekar morgens zurückkehrt. Dann tritt wieder Stille ein.
Das Buch, das hier aus dem Nähkästchen plaudert und das uns als Erzähler durch den ganzen Roman begleitet, ist eine Erstausgabe von Joseph Roths »Die Rebellion«. Im Jahr 1924 veröffentlicht und deshalb immer etwas neidisch auf Thomas Manns »Zauberberg« (das literarische Ereignis des Jahres), kann das Buch auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken, die eng mit der seiner Besitzer und Besitzerinnen verknüpft ist. Neu erworben wurde der Roman einst von David Glückstein, einem jüdischen Germanistikprofessor in Berlin, der ihn am Tag der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz einem seiner Studenten zusteckte und ihn so vor den Flammen rettete. In der Familie des später in die USA ausgewanderten Studenten wurde er weitergegeben und landete schließlich bei dessen Enkelin Lena Knecht, die sich zu Beginn von »Echos der Vergangenheit« von New York nach Berlin aufmacht, um herauszufinden, welches Geheimnis die von Glückstein gezeichnete Karte auf der letzten Seite der »Rebellion« birgt. Ungünstig nur, dass Lena gleich nach der Ankunft in Berlin die Tasche mitsamt dem wertvollen Buch gestohlen wird, was eine Reihe von folgenschweren Ereignissen und Begegnungen zur Folge hat.
Trotz des recht überschaubaren Umfangs von knapp 280 Seiten steckt eine ganze Menge in Hugo Hamiltons klug konstruiertem Roman. Allerdings überzeugen nicht alle Handlungsstränge gleichermaßen. Stark sind die Passagen, in denen es um historische Tatsachen, Biographisches aus dem Leben von Joseph Roth und seiner Frau Friederike sowie um die Kraft der Literatur und den Zauber von Büchern geht. Dagegen fällt der in der Gegenwart spielende Teil der Handlung ein wenig ab – zwar gelingt es Hamilton geschickt, zentrale Motive aus der »Rebellion« und Roths Leben aufs Heute zu übertragen, aber dennoch wirkt die Geschichte an diesen Stellen oft etwas überladen und bedeutungsschwer. Nicht nur inhaltlich, sondern (womöglich liegt es an der Übersetzung) auch sprachlich: leere Bierflaschen sind da zum Beispiel »ausgetrunkene Spaßbringer«, ein Akkordeon wird zur »Rhythmusmaschine«. Auch das Ende des Romans ist recht dick aufgetragen und weiß nicht ganz zu überzeugen, wobei immerhin das Geheimnis der Karte gelüftet wird.
Ein lesenswertes Buch ist »Echos der Vergangenheit« trotz einiger Schwächen allemal – vor allem, weil es Hugo Hamilton, dem irischen Autor mit deutschen Wurzeln, gelingt, einem das Werk Joseph Roths näherzubringen. Nach der Lektüre hat man jedenfalls große Lust, zur »Rebellion« zu greifen.
- Hugo Hamilton: Echos der Vergangenheit; aus dem Englischen von Henning Ahrens; Luchterhand; 288 Seiten; ISBN: 978-3-630-87681-8
- Lesungen: 31. Mai – Literaturbüro Lüneburg; 6. Juni – Literaturhaus Hannover.
Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
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