Zeitschrift für Ideengeschichte: Wannsee

Die „Zeitschrift für Ideengeschichte“ packt in ihrer Sommerausgabe die Badehose ein – und dann nichts wie raus nach Wannsee! Dabei geht es in den Beiträgen natürlich keineswegs ausschließlich um Sommervergnügen im 1907 eröffneten Strandbad Wannsee (und – wie im Essay von Michael Krüger – die damit verbundenen prägenden Kindheits- und Jugenderlebnisse), sondern um viel mehr.

„Hier ist so viel Deutschland“, heißt es schon im Editorial und tatsächlich wähnt man sich während der Lektüre auf einem Streifzug durch die deutsche Geschichte voller Licht und Schatten. Allein die Villa Arnhold, von der die amerikanische Professorin Monica Black erzählt, steckt voller kaum miteinander vereinbarer Gegensätze. Einst das Zuhause der kunstsinnigen jüdischen Bankiersfamilie Arnhold, zog nach deren Enteignung im Jahr 1938 Reichswirtschaftsminister Walther Funk ein. Nur 40 Jahre, nachdem Funk unter anderem mit Joseph Goebbels seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte, legte in der Villa, die bis heute die American Academy in Berlin beheimatet, Prince bei einem DJ-Wettbewerb auf. Oder die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, wo in angenehmer Umgebung bei einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ der Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden „unter [Reinhard] Heydrichs Leitung zur bürokratischen ‚Perfektion‘ gebracht werden sollte“, wie Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, im Gespräch über den aktuellen Stand der Forschung zur Konferenz erläutert. Oder die Glienicker Brücke, die einst mitten im „preußischen Arkadien“ lag und bis 1989 unter dem von der SED ersonnenen, doch recht zynischen Namen „Brücke der Einheit“ zum Symbol der deutschen Teilung wurde.

Doch nicht nur im Großen, sondern auch im Kleineren ist die Geschichte des Wannsees durchzogen von Kontraste und Widersprüchen. So genießt Max Liebermann die Sommer in seiner Villa am See (schöne Bilder und noch viel mehr dazu gibt es bei der Kulturbowle), sondern sieht schon in den frühen 1920er Jahren erstaunlich klar die Vorboten der demnächst anbrechenden dunklen Zeiten. Schönes und Unerfreuliches verbindet sich auch in der Heilandskirche am Port von Sacrow, deren prächtiges Erscheinungsbild im krassen Gegensatz zum unleidlichen Wesen ihres Erbauers Friedrich Wilhelm IV. steht. Und nicht einmal auf der nach wie vor höchst beliebten Pfaueninsel ist alles so idyllisch, wie es scheint (wer Thomas Hettches Roman gelesen hat, weiß sowieso, dass das noch nie so war). Gerade die exotischen Tiere der Menagerie fristeten dort schon immer ein recht tristes und meist eher kurzes Leben. Heute mag das zumindest etwas besser sein, aber Autorin Dorothea Studthoff hat sogar 2022 noch Bekanntschaft mit einem bedrückt wirkenden Shetland-Pony gemacht.

Eine höchst gelungene, ebenso informative wie zuweilen amüsante Zusammenstellung, die große Lust darauf macht, die gewonnenen Eindrücke auch vor Ort weiter zu vertiefen.

Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

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Ein Kommentar zu „Zeitschrift für Ideengeschichte: Wannsee

  1. Wie schön, da waren wir ja literarisch in den gleichen Gefilden unterwegs. Vielen lieben Dank fürs Verlinken und herzliche Wochenendgrüße! Barbara

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